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Der Normalfall

Weil der allgemeine Teil des BGB schwer zugänglich ist, wird hier mit einem „Normalfall“ begonnen. Für diejenigen, die wenig bis kein Hintergrundwissen mitbringen (wovon ich hier in der Regel ausgehe) wird das leider ein Schubs ins kalte Wasser. Um den BGB AT wirklich zu verstehen, lässt sich das jedoch nicht ganz vermeiden. Bitte (bitte!) trotzdem nicht frustrieren lassen. Der Fall wird auf den nächsten Seiten immer wieder aufgegriffen, um sich den einzelnen Teilen in aller Ruhe zu widmen. Man muss also nicht sofort alles durchblickt haben. 👍

Sachverhalt: Normalfall

Die kürzlich nach Bayreuth gezogene Amelie (A) möchte zum Semesterstart optimal auf ihr Studium vorbereitet sein, weswegen sie beschließt, sich einen neuen Kugelschreiber zuzulegen. Bei einem Spaziergang durch die Maximilianstraße trifft A auf ihren Kommilitonen Benjamin (B), der zufällig einen schönen Kugelschreiber dabei hat. A meint zu B: „Verkaufst du mir den Kugelschreiber für 10 €?“ Daraufhin meint B zu A: „Klar, für 10 € kannst du ihn haben.“ A gibt B einen 10-Euro-Schein, woraufhin B ihr den Kugelschreiber in die Hand drückt. In

dem Wissen, nun optimal auf das Studium vorbereitet zu sein, spaziert A weiter die Maximilianstraße entlang.

In diesem einfach wirkenden Fall passiert rechtlich eine ganze Menge. Ganz grob kann man ihn in vier Zeitabschnitte unterteilen, die wir im Folgenden Schritt für Schritt durchgehen:

Zeitstrahl Normalfall.png

1. Die Vertragsanbahnung

Normalfall_Vertragsanbahnung.png

Zur Phase der Vertragsanbahnung sei der Vollständigkeit halber nur so viel gesagt: Gemäß § 311 II BGB entsteht bereits bei Vorliegen eines ähnlichen geschäftlichen Kontakts (i.S.d. § 311 II Nr. 3 BGB) ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB zwischen den Beteiligten. Wann genau ein solches Schuldverhältnis entsteht, was für Pflichten das sind und welche Rechtsfolgen die Verletzung dieser Pflichten nach sich zieht, ist Gegenstandsgebiet des Schuldrecht AT. Hier wird also nicht weiter darauf eingegangen.

2. Der Vertragsschluss

Zeitstrahl vertragsschluss.png

A hat hier dem B mit der Aussage „Verkaufst du mir den Kugelschreiber für 10 €“ ein Angebot (= Willenserklärung) zum Abschluss eines Kaufvertrags gemacht. Dieses Angebot hat B mit der Aussage „Klar, für 10 € kannst du ihn haben.“ angenommen (= Willenserklärung). 
Tatbestandlich handelt es sich hier also um zwei übereinstimmende Willenserklärungen, eine sog. Einigung mit dem Inhalt des § 433 BGB (bitte lesen!) – man spricht dann von einem Kaufvertrag.

Rechtsfolge dieses Kaufvertrags (= Rechtsgeschäft) ist die Entstehung eines vertraglichen Schuldverhältnisses mit einer Reihe von Rechten und Pflichten. Wichtig ist dabei v.a. die für den Verkäufer entstehende Verpflichtung zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache (hier des Kugelschreibers) gem. § 433 I 1 BGB. Ebenfalls besonders relevant ist die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises (hier 10 €) gem. § 433 II BGB.

Rechtsgeschäfte, die die Entstehung von Verpflichtungen zur Folge haben, nennt man Verpflichtungsgeschäfte.

Definition: Verpflichtungsgeschäft
Ein Verpflichtungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das ein Schuldverhältnis begründet. Es zeichnet sich also durch die Entstehung von Ansprüchen und damit korrespondierenden Verpflichtungen aus.

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Beispiel: Verpflichtungsgeschäfte
  • Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB

  • Mietvertrag, §§ 535 ff. BGB

  • Werkvertrag, §§ 631 ff. BGB

  • Arbeitsvertrag, §§ 611a ff. BGB

  • u.v.m.

Das Gesetz spricht zwar in § 433 I 1 BGB (lesen!) nur davon, dass der Verkäufer bzw. Käufer „verpflichtet“ ist, dieser Verpflichtung steht jedoch ein Anspruch des jeweils anderen Teils gegenüber. Anspruch und Verpflichtung sind also zwei Seiten desselben Rechtsverhältnisses. Zur Verpflichtung denken wir uns demnach den Anspruch hinzu:

Anspruch und Verpflichtung.png

Der Abschluss eines Kaufvertrags hat (u.a.) die Entstehung eines Anspruchs aus § 433 I 1 BGB und eines Anspruchs aus § 433 II BGB zur Folge:

Zeitstrahl vertragsschluss zoom.png

Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, vgl. § 194 I BGB.

 

Sobald A und B also den Kaufvertrag geschlossen haben, können sie die Erfüllung der jeweils versprochenen Handlung verlangen:

Normalfall_Anspruch_A gegen B ausgeübt.png
Normalfall_Anspruch B gegen A_ausgeübt.png

Wichtig ist sich hier klarzumachen, dass lediglich diese Ansprüche entstehen. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Das Eigentum an den jeweiligen Gegenständen bleibt hiervon völlig unberührt. A ist also trotz des Kaufvertrags noch immer Eigentümerin des 10-Euro-Scheins (das Geld liegt noch in ihrer Vermögensbox) und B ist noch immer Eigentümer des Kugelschreibers (der Kugelschreiber liegt noch in seiner Vermögensbox):

Kaufvertrag_A und B_mit Vermögen.png

Also bitte merken: Durch den Kaufvertrag wird der Käufer nicht Eigentümer der Kaufsache! Er hat gem. § 433 I 1 BGB „nur“ das Recht, von dem Verkäufer die Übertragung des Eigentums zu verlangen (= Anspruch, vgl. § 194 I BGB). Andersherum hat der Verkäufer gem. § 433 II BGB „nur“ das Recht, von dem Käufer Zahlung des Kaufpreises zu verlangen (= Anspruch, vgl. § 194 I BGB). Was passiert, wenn man diesem Verlangen nicht nachkommt, wurde hier bereits erörtert.

3. Vertragsdurchführung/-abwicklung

A gibt B einen 10-Euro-Schein, woraufhin B ihr den Kugelschreiber in die Hand drückt.

In diesem kurzen Satz wird der von den beiden zuvor geschlossene Kaufvertrag abgewickelt. Man muss zum Verständnis dieser Abwicklung genauer zwischen der Hingabe des 10-Euro-Scheins und der Hingabe des Kugelschreibers unterscheiden:

Normalfall Sachverhalt gestreckt.png

Die Abwicklung des Kaufvertrags betrifft dabei vor allem den § 929 S. 1 BGB und den § 362 I BGB.

3a. „A gibt B einen 10-Euro-Schein“

a) Die Übertragung des Eigentums gem. § 929 S. 1 BGB
Normalfall_Übertragung des Eigentums am 10 Euroschein.png

Tatbestandlich handelt es sich hier um eine Übereignung nach § 929 S. 1 BGB (= Rechtsgeschäft).

Gem. § 929 S. 1 BGB (lesen!) ist zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache (der 10-Euro-Schein ist eine bewegliche Sache) erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt (= Übergabe) und beide darüber einig sind (= Einigung), dass das Eigentum übergehen soll. Darüber hinaus muss (wie bei allen Verfügungsgeschäften) die Verfügungsberechtigung des Veräußerers gegeben sein (das wird an anderer Stelle noch genauer behandelt). Das Tatbestandsmerkmal „Einigsein bei Übergabe“ kann man bis zum Sachenrecht (in der Regel erst im 2./3. Semester) getrost ignorieren.

Man sieht hieran, dass in diesem kurzen Sachverhalt insgesamt drei Verträge geschlossen wurden! Ein Kaufvertrag und zwei dingliche Verträge gem. § 929 S. 1 BGB. Um sich den Unterschied von der Einigung nach § 433 BGB und § 929 S. 1 BGB klar zu machen, hier eine Gegenüberstellung:

Einigung über Merkmale des 433.png
Einigung über Merkmale des 929.png

Im Rahmen des Kaufvertrags einigen sich die Vertragsparteien (die man Käufer und Verkäufer nennt) darauf, dass ein Schuldverhältnis zwischen ihnen über einen bestimmten Kaufgegenstand zu einem bestimmten Kaufpreis begründet wird.

Im Rahmen der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB einigen sich die Vertragsparteien (die man Veräußerer und Erwerber nennt) darauf, dass ein bestimmter Verfügungsgegenstand vom Veräußerer auf den Erwerber übergeht.

Diese Unterscheidung von Verträgen bezeichnet man als Trennungsprinzip. Hierzu später mehr.

Sind die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben, ist Rechtsfolge dann der Übergang des Eigentums an dem Verfügungsgegenstand (hier des 10-Euro-Scheins) auf den Erwerber B. Rechtsgeschäfte, die unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirken, bezeichnet man als Verfügungsgeschäfte.

Definition: Verfügungsgeschäft
Ein Verfügungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, durch das unmittelbar auf ein bestehendes Recht eingewirkt wird, es also übertragen, belastet, inhaltlich verändert oder aufgehoben wird.

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Beispiel: Verfügungsgeschäfte
  • Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB

  • Abtretung, §§ 398 ff. BGB

  • Erlass, § 397 BGB

  • u.v.m.

b) Das Erlöschen des Anspruchs gem. § 362 I BGB
Normalfall Erfüllung des 433 II.png

Tatbestandlich hat A hier zudem gem. § 362 I BGB die geschuldete Leistung bewirkt. Nach § 362 I BGB hat dies zur Folge, dass das Schuldverhältnis erlischt. Schuldverhältnis ist hier im engeren Sinne gemeint, d. h. nicht der gesamte Vertrag erlischt etwa, sondern bloß die einzelne Leistungspflicht mit dem damit korrespondierenden Anspruch.

Jetzt, da A also die Leistung bewirkt hat (sie getan hat, was sie versprochen hat), kann B nicht mehr zu A kommen und (nochmal) Zahlung des Kaufpreises verlangen. Der Anspruch aus § 433 II BGB ist nämlich gem. § 362 I BGB erloschen.

Anspruch aus 433 II erloschen.png

3b. „woraufhin B ihm den Kugelschreiber in die Hand drückt

Genau dasselbe, was in 3a passiert ist, geschieht nun im nächsten Schritt hinsichtlich des Kugelschreibers. Ich hoffe, dass die Schaubilder genügen, um das zu verdeutlichen.

a) Die Übertragung des Eigentums gem. § 929 S. 1 BGB
Normalfall_Übertragung des Eigentums am Kugelschreiber.png
b) Das Erlöschen des Anspruchs gem. § 362 I BGB
Normalfall Erfüllung des 433 I 1.png

4. Der abgewickelte/beendete Vertrag

abgewickelter vertrag.png

Wurden die Leistungen erbracht gehen die Parteien wieder ihrer Wege. Auch hier können sich u.U. Probleme einschleichen, insbesondere in Form von Verletzungen nachvertraglicher Schutzpflichten i.S.v. § 241 II BGB. Da diese jedoch im Schuldrecht AT näher behandelt werden, wird hier nicht weiter darauf eingegangen.

Das war also der Normalfall. Wenn man es bis hierhin geschafft hat, darf man sich ruhig mal ordentlich auf die Schulter klopfen! Soeben wurde nämlich das Fundament für das Verständnis des BGB AT geschaffen 👏🥳

Wieder aufnahmefähig? Dann geht es hier weiter mit der Privatautonomie.

Text und Grafiken von Nicholas Backhouse

Quellen:

1: Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 26.

2: Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 24 Rn. 7; Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 20, 24a; BGH NJW 1987, 3177.

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