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Die Rechtsgeschäftslehre

Wie sich der Mindmap entnehmen lässt, ist die in den §§ 104-185 BGB geregelte Rechtsgeschäftslehre das zentrale Thema des BGB AT. Sie ist unheimlich abstrakt, weswegen es recht schwer ist, sie zu verstehen. Deswegen empfiehlt es sich (falls noch nicht geschehen), hiermit einzusteigen: Normalfall.

Die Rechtsordnung denkt in Tatbestand (Voraussetzungen) und Rechtsfolgen (Wirkungen). Einer der wichtigsten Tatbestände, den die Rechtsordnung kennt, ist der des Rechtsgeschäfts. Es ist das Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie.

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Definition: Rechtsgeschäft
„Das Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der aus mindestens einer Willenserklärung sowie oft aus weiteren Elementen besteht und an den die Rechtsordnung den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges knüpft.“

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Definition Rechtsgeschäft.png
Beispiel:
„A meint zu B: „Verkaufst du mir den Kugelschreiber für 10 €?“ Daraufhin meint B zu A: „Klar, für 10 € kannst du ihn haben.“
Normalfall_Kaufvertrag.png

Hier kommt zwischen A und B ein Kaufvertrag zustande. Beim Kaufvertrag handelt es sich um ein solches Rechtsgeschäft. Tatbestandlich setzt es (nicht nur eine, sondern) zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus (sog. Einigung). Rechtsfolge des Vorliegens dieses Tatbestandes ist dann die Entstehung eines Schuldverhältnisses mit Rechten und Pflichten nach den §§ 433 ff. BGB. Besonders klausurrelevant im ersten Semester ist dabei der Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer aus § 433 I 1 BGB und der des Verkäufers gegen den Käufer aus § 433 II BGB.

Normalfall_Anspruch_A gegen B ausgeübt.png
Normalfall_Anspruch B gegen A_ausgeübt.png

Die Elemente des Rechtsgeschäfts

Um die einzelnen Elemente des Rechtsgeschäfts herauszuarbeiten, hilft ein Blick zu den Ursprüngen des BGBs:

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Zitat: Mot. I, S. 126 = Mugdan I, S. 421
„Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, dass ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich betätigt, und der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“

Zerlegen wir diesen Satz mal in seine Einzelteile:

  1. Willenserklärung: Ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich betätigt,

     

  2. Wirksamkeit: Der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens

     

  3. Rechtsfolgen/Wirkung: Die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.

Rechtsgeschäft Elemente.png

Im weiteren werden diese einzelnen Elemente näher betrachtet.

1. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfts
Tatbestand des RG.png

Der Tatbestand eines Rechtsgeschäfts besteht aus mindestens einer Willenserklärung. Immer dann, wenn eine Willenserklärung vorliegt, liegt also auch ein Rechtsgeschäft vor (und andersherum). In der Regel müssen jedoch, neben dem Vorliegen der Willenserklärung, weitere Voraussetzungen gegeben sein. 

Zu verstehen, wie das Rechtsgeschäft zur Willenserklärung steht, ist der Schlüssel zum Verständnis der Rechtsgeschäftslehre. Falls dieser Unterschied nicht deutlich genug in den Schaubildern zum Ausdruck kommt, hier eine Klarstellung:

Die Willenserklärung ist „das Mittel, um Rechtsgeschäfte vorzunehmen und zu bestimmen, welche Rechtswirkungen durch das Rechtsgeschäft herbeigeführt werden sollen.“   „Rechtsgeschäfte dienen dazu, Privatrechtsfolgen kraft Willens herbeizuführen, Willenserklärungen dienen dazu, diese Rechtsgeschäfte zu schaffen.“

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Tatbestandliche Unterscheidung von Rechtsgeschäften

Rechtswissenschaftler haben eine besondere Freude daran, Regelmäßigkeiten in der Rechtsordnung herauszuarbeiten und diese zu trennen und zu ordnen (= zu systematisieren). Hinsichtlich des Tatbestands eines Rechtsgeschäfts lässt sich nun folgende wichtige Unterscheidung vornehmen:

Zitat: Mugdan I, S. 422
„Dem durch die Willenserklärung nur einer Person zustande kommenden einseitigen Rechtsgeschäfte steht das zweiseitige Rechtsgeschäft, der Vertrag gegenüber.“
Rechtsgeschäft einseitig und zweiseitig.png

Das einseitige Rechtsgeschäft kommt also durch eine einzelne Willenserklärung zustande. Das zweiseitige oder mehrseitige Rechtsgeschäft (= Vertrag) kommt durch die Willenserklärungen mehrerer Personen zustande.

Beispiele: Einseitige Rechtsgeschäfte
  • Anfechtung, § 142 BGB

  • Kündigung

  • Rücktritt, § 349 BGB

  • Aufrechnung, § 388 BGB

  • Zustimmung (Einwilligung/Genehmigung)

  • Bevollmächtigung, § 167 BGB

  • Testament, § 2247 BGB

  • Ausschlagung der Erbschaft, § 1945 I Hs. 1

  • Auslobung, § 657 BGB

  • u.v.m.

Beispiele: Mehrseitige Rechtsgeschäfte
  • Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB

  • Übereignung nach § 929 S. 1 BGB

  • Mietvertrag, §§ 535 ff. BGB

  • Erlass, § 397 BGB

  • Abtretung, §§ 398 ff. BGB

  • Arbeitsvertrag, §§ 611a ff. BGB

  • Leihvertrag, §§ 598 ff. BGB

  • Schenkungsvertrag, §§ 516 ff. BGB

  • Gesellschaftsvertrag, §§ 705 ff. BGB

  • Beschlussfassung, §§ 28, 32, 34 BGB

  • u.v.m.

Prüfungsschemata zum Rechtsgeschäft

Eine für die Klausursituation elementare Frage ist nun, wie denn das Ganze aufzubauen und zu prüfen ist. Um hier bei der Prüfung von Rechtsgeschäften nichts zu übersehen, bietet sich die Beachtung der folgenden Schemata an:

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Prüfung Vertrag.png
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Prüfung einseitiges RG.png

Der Prüfungsstandort des Rechtsgeschäfts hängt davon ab, was für Rechtsfolgen an das Rechtsgeschäft anknüpfen, welche Wirkungen es also hat.

  • Hat das Rechtsgeschäft die Entstehung von Ansprüchen zur Folge, ist es bei I. Anspruch entstanden zu prüfen (z.B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag, Dienstvertrag, ...).

  • Hat das Rechtsgeschäft das Erlöschen (oder die Übertragung) von Ansprüchen zur Folge, ist es bei II. Anspruch nicht erloschen zu prüfen (z.B. Erlass, Kündigung, Rücktritt, Abtretung, Aufhebungsvertrag, ...).

 

Näheres hier: Exkurs zur Prüfung von Ansprüchen.

2. Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts
Wirksamkeit des RG.png

Ist der Tatbestand eines Rechtsgeschäfts gegeben, so gilt der Grundsatz, dass daran dann auch die (von den Parteien gewollten) Rechtsfolgen anknüpfen.

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Rechtsgeschäft negative Wirksamkeitsprüfung.png

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn ein Wirksamkeitserfordernis fehlt oder ein Wirksamkeitshindernis vorliegt. Dann ist zwar tatbestandlich ein Rechtsgeschäft gegeben, dennoch treten die gewünschten Rechtsfolgen nicht ein. Man spricht dann von einem unwirksamen (= nichtigen) Rechtsgeschäft.

RG Unwirksamkeit.png

Diese Vorschriften, die die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften betreffen, kann man im Gesetz an Begriffen wie „ist nichtig“, „ist unwirksam“ erkennen:

Beispiele: Wirksamkeitserfordernisse & Wirksamkeitshindernisse
  • „... so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von … ab“, § 108 I BGB

  • „Ein einseitiges Rechtsgeschäft das … ist unwirksam“, § 111 BGB

  • „Ein Rechtsgeschäft … ist nichtig“, § 125 S. 1 BGB

  • „Ein Rechtsgeschäft … ist nichtig“, § 134 BGB

  • „Ein Rechtsgeschäft … ist nichtig“, § 138 I BGB

  • Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, …“, § 138 II BGB

  • „… so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen“, § 142 I BGB

  • „Ein einseitiges Rechtsgeschäft, … ist unwirksam, …“ , § 174 S. 1 BGB

  • „... so hängt die Wirksamkeit des Vertrags ... von … ab“, § 177 BGB

Mit den folgenden dieser Vorschriften werden wir uns später noch näher befassen:

Wirksamkeitshindernisse.png
3. Die Rechtsfolgen des Rechtsgeschäfts
RG RF.png

Ist der Tatbestand des Rechtsgeschäfts gegeben und ist das Rechtsgeschäft wirksam, stellt sich schließlich die Frage, was für Rechtsfolgen an das Rechtsgeschäft anknüpfen. 
Das Rechtsgeschäft ist, wie gesehen, das Mittel der Privatautonomie. Deswegen treten die von der oder den Partei(en) gewollten Rechtsfolgen ein.

Rechtsfolge kann dabei die Entstehung, Übertragung, Belastung, Aufhebung oder sonstige Veränderung von Pflichten und subjektiven Rechten sein:

Rechtsgeschäft Rechtsfolgen.png
Beispiele: Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts
  • Entstehung von Ansprüchen und damit korrespondierenden Pflichten wie etwa beim Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag, …

  • Übertragung von Eigentum (Übereignung) gem. § 929 S. 1 BGB

  • Übertragung von Ansprüchen (Abtretung) gem. § 398 BGB

  • Aufhebung von Ansprüchen (Erlass) gem. § 397 I BGB

Unterscheidung von Rechtsgeschäften nach den eintretenden Rechtsfolgen

Wie gesagt haben Rechtswissenschaftler eine besondere Freude daran, Regelmäßigkeiten in der Rechtsordnung herauszuarbeiten und sie so zu systematisieren. Hinsichtlich der eintretenden Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts lässt sich folgende wichtige (aber nicht abschließende) Unterscheidung treffen:

Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft.png
Definition: Verpflichtungsgeschäft
Ein Verpflichtungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das ein Schuldverhältnis begründet. Es zeichnet sich also durch die Entstehung von Ansprüchen und damit korrespondierenden Verpflichtungen aus.

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Verpflichtungsgeschäft Definition.png
Beispiel: Verpflichtungsgeschäfte
  • Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB

  • Mietvertrag, §§ 535 ff. BGB

  • Arbeitsvertrag, §§ 611a ff. BGB

  • u.v.m.

Definition: Verfügungsgeschäft
Ein Verfügungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, durch das unmittelbar auf ein bestehendes Recht eingewirkt wird, es also übertragen, belastet, inhaltlich verändert oder aufgehoben wird.

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Verfügungsgeschäft Rechtsfolgen.png
Beispiel: Verfügungsgeschäfte
  • Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB

  • Abtretung, §§ 398 ff. BGB

  • Erlass, § 397 BGB

  • Verpfändung, § 1205 BGB

  • Bestellung einer Hypothek, § 1113 BGB

  • Bestellung einer Grundschuld, § 1191 BGB

  • Bestellung eines Nießbrauchs, § 1030 BGB

  • Dereliktion, § 959 BGB

  • Begründung von Wohnungseigentum, § 8 WEG

  • u.v.m.

Hinweis: Das Verpflichtungsgeschäft und das Verfügungsgeschäft weisen auch hinsichtlich des Tatbestands Unterschiede auf. Die Wirksamkeit einer Verfügung hängt nämlich davon ab, dass  der Verfügende Verfügungsmacht hat.

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Definition: Verfügungsmacht
Verfügungsmacht ist die für ein Recht bestehende Macht, durch Rechtsgeschäft dieses Recht zu übertragen, zu belasten, zu ändern oder aufzuheben. Diese hat grundsätzlich der Inhaber des Rechts.

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Trennungs- und Abstraktionsprinzip

Die gerade dargestellte Unterscheidung von Verpflichtungsgeschäften und Verfügungsgeschäften bezeichnet man als Trennungsprinzip.

Das Abstraktionsprinzip baut hierauf auf und besagt, dass die Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäfts die Wirksamkeit des anderen unberührt lässt.

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Abstraktionsprinzip.png

Die (Un-)Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäfts hat keine Auswirkungen auf die (Un-)Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäfts

Da eine umfassende Darstellung des Abstraktionsprinzips hier nun den Rahmen sprengen würde, möchte ich zur Vertiefung die Lektüre des folgenden Aufsatzes empfehlen:

  • Lorenz, Grundwissen - Zivilrecht: Abstrakte und kausale Rechtsgeschäfte, JuS 2009, S. 489-491.

Das war die Einführung in die Rechtsgeschäftslehre. Hier geht es nun weiter mit der Willenserklärung.

Text und Grafiken von Nicholas Backhouse

Quellen:

1: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 1; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 2; 

Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 28 Rn. 1; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 3, 5.

2: Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 28; s. auch: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Überbl. v. § 104, Rn. 2.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 175; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 6; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 28 Rn. 2; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 5.

3: Siehe zum Weiteren Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 9 Rn. 1 ff.

4: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 1.

5: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 1.

6: Die Schemata orientieren sich an der Darstellung von Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2022, §§ 5 f.

7: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 9 Rn. 11, § 10 Rn. 3, § 23 Rn. 99 ff.

8: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Überbl v § 104, Rn. 15; Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 26; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 8 Rn. 3; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 29 Rn. 28; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 12.

9: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Überbl v § 104, Rn. 16; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 140; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 24 Rn. 7; Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 20, 24a; BGH NJW 1987, 3177; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 8 Rn. 2; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 13.

10: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 4 Rn. 24b.

11: Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 142.

12: Linderkamp, Zwischen Privatautonomie und Folgenbetrachtung, ZJS 2020, S. 539; MüKoBGB/Oechsler, 9. Aufl. 2023, BGB § 929, Rn. 8 ff; Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 104, Rn. 4; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 8 Rn. 5; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 14.

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