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Die Anfechtung

Bei der Thematik der Anfechtung muss mit den Begriffen, die man verwendet, exakt umgegangen werden. Um zu der ohnehin schon bestehenden Begriffsverwirrung nicht beizutragen, werden hier zunächst einige Begrifflichkeiten geklärt. 

Sollte der folgende Teil trotzdem zu Verwirrung führen, bietet es sich an, mit dem Beispielsfall zu beginnen und dann erst auf diese Seite zurückzukommen.

Der Begriff „Anfechtung“ wird unglücklicherweise mehrdeutig verwendet:

Definition: Anfechtung
„Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht, …“

1

Definition: Anfechtung
„Die Anfechtung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft …“

2

Anfechtungsrecht.png
Anfechtungserklärung.png

Um dieser Mehrdeutigkeit zu entgehen, wird das, was Anfechtung nach der linken Definition bedeutet als Anfechtungsrecht bezeichnet. Wenn im Folgenden also von „Anfechtung“ die Rede ist, ist damit das einseitige Rechtsgeschäft gemeint.

Rechtslage bei Anfechtung

Aufbauend auf dieser begrifflichen Unterscheidung kann man sich die Rechtslage in Fällen der Anfechtung folgendermaßen vorstellen:

Wenn sich im Normalfall der B bei Abgabe seiner auf den Kaufvertragsabschluss gerichteten Willenserklärung geirrt hat ...

... (1) entsteht aufgrund des Irrtums ein Anfechtungsrecht nach § 119 I BGB, ... 

Anfechtung 1.png

A

B

... (2) übt B dieses Anfechtungsrecht aus indem er die Anfechtung erklärt, § 143 I BGB (Anfechtungserklärung), ...

Anfechtung 2.png

A

B

... (3) führt dies dazu, dass das angefochtene Rechtsgeschäft (hier der Kaufvertrag) gem. § 142 I BGB ex-tunc nichtig ist, womit auch der Anspruch rückwirkend entfällt ...

Anfechtung 3.png

A

B

... (4) dafür entsteht aber unter Umständen nach § 122 I BGB ein Anspruch auf Schadensersatz.

Anfechtung 4.png

A

B

Die Anfechtung als Rechtsgeschäft

Definition: Rechtsgeschäft
„Das Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der aus mindestens einer Willenserklärung sowie oft aus weiteren Elementen besteht und an den die Rechtsordnung den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges knüpft.“

3

Definition Rechtsgeschäft.png

Die letzte Unklarheit, die beseitigt werden muss, ist die Frage, ob es einen Unterschied zwischen der „Anfechtung“ und der „Anfechtungserklärung“ gibt.

Nach herrschender Meinung ist dies nicht der Fall, die Willenserklärung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Die Anfechtungserklärung (Willenserklärung) demnach dasselbe wie die Anfechtung (Rechtsgeschäft).

Nach anderer Ansicht    ist die Anfechtungserklärung die Willenserklärung, durch die das einseitige Rechtsgeschäft Anfechtung zustande kommt. Die Anfechtungserklärung also notwendiger Bestandteil des Rechtsgeschäfts Anfechtung, aber nicht dasselbe.

Für die Klausur wirkt sich dieser Streit im Ergebnis nicht aus. Dafür aber auf die Frage der Darstellung, weswegen sie hier behandelt wurde. Ausgehend von der anfangs dargestellten Definition wird die Anfechtung im Weiteren als Tatbestand verstanden, die aus einer Willenserklärung (= Anfechtungserklärung) besteht, d.h.: die Anfechtungserklärung (= Willenserklärung) wird als Bestandteil der Anfechtung (= einseitiges Rechtsgeschäft) dargestellt (vgl. Schaubild rechts).

4b

4a

Anfechtung einseitiges RG.png

Die Anfechtung in der Klausur

Ist der Tatbestand eines Rechtsgeschäfts gegeben, so gilt der Grundsatz, dass daran dann auch die (von den Parteien gewollten) Rechtsfolgen anknüpfen.

5

Tatbestand des RG gegeben.png

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt dann in Betracht, wenn ein Wirksamkeits-hindernis vorliegt. Dann ist zwar tatbestandlich ein Rechtsgeschäft gegeben, dennoch treten die gewünschten Rechtsfolgen nicht ein, es ist unwirksam (= nichtig)

6

142 I als Wirksamkeitshindernis.png

Die Anfechtung führt gem. § 142 I BGB zur ex-tunc Nichtigkeit des angefochtenen Rechtsgeschäfts. Es handelt sich bei § 142 I BGB also um ein solches Wirksamkeitshindernis. In der Klausur bedeutet das, dass bei der Prüfung der Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäfts (beispielsweise eines Kaufvertrags) inzident ein anderes Rechtsgeschäft (die Anfechtung) zu prüfen ist:

Prüfungsschema Anfechtung Kaufvertrag.png

Das Anfechtungsrecht

Arten subjektiver Rechte.png
Definition: Gestaltungsrecht
Gestaltungsrechte geben dem Berechtigten die Möglichkeit, einseitig (ohne Mitwirkung eines anderen) auf die Rechtslage einzuwirken.

7

Das Anfechtungsrecht ist ein solches Gestaltungsrecht.   Mit diesem wird dem Berechtigten die Möglichkeit gegeben, ein Rechtsgeschäft gem. § 142 I BGB rückwirkend unwirksam zu machen, die eingetretenen Rechtsfolgen des angefochtenen Rechtsgeschäfts also ungeschehen zu machen.

8

Es gibt insgesamt 6 Rechtsnormen, die die Entstehung eines Anfechtungsrechts als Rechtsfolge anordnen. Diese Rechtsnormen bezeichnet man auch als Anfechtungsgründe.

9

Entstehung Anfechtungsrecht.png
Anfechtungsgründe.png

Diese 6 Rechtsnormen werden bei 3. Anfechtungsgründe näher beleuchtet.

Das war nun der äußerst abstrakte Einstieg zur Anfechtung. Um die ganze Sache greifbarer zu machen, geht es hier weiter mit einem Beispielsfall zur Anfechtung.

Text und Grafiken von Nicholas Backhouse

Quellen:

1: BeckOGK/Beurskens, 1.5.2023, BGB § 142 Rn. 18; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 18 Rn. 1.

2: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 14 Rn. 1.​

3: Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 5 Rn. 28; s. auch: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Überbl. v. § 104, Rn. 2.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 175; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 6; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 28 Rn. 2.

4a: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Überbl v § 104, Rn. 2.

4b: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 11 Rn. 16.

5: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 9 Rn. 11, § 10 Rn. 3, § 23 Rn. 99 ff.

6: Näher zum Begriff der Unwirksamkeit und Nichtigkeit Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023, § 55 Rn. 1 ff.; Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 9 Rn. 1 ff.

7: Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl. 2020, § 22 Rn. 31; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 28 Rn. 22; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 64; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 370; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 7 Rn. 38.

8: MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 142 Rn. 5.

9: Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 14 Rn. 29.

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