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Der Tatbestand der Willenserklärung

Die Abgrenzung der Willenserklärung zu anderen Verhaltensweisen kann sich im Einzelfall als besonders schwierig herausstellen. Wann kann man von einer Willenserklärung sprechen? Was zeichnet sie aus? Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich dem Tatbestand der Willenserklärung widmen:

Wir betrachten nun diesen Teil

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1

Die Willenserklärung lässt sich, wie der Begriff schon nahelegt, in zwei Teile zerlegen: Den Willens-Teil (= subjektiver Erklärungstatbestand) und den Erklärungs-Teil (= objektiver Erklärungstatbestand):

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Tatbestand der WE mit zahlen.png

Im weiteren werden diese sechs Merkmale näher beleuchtet und der Frage nachgegangen, was für Rechtsfolgen das Fehlen eines der Merkmale jeweils nach sich zieht.

Der objektive Erklärungstatbestand
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Der objektive (äußerlich wahrnehmbare) Tatbestand der Willenserklärung setzt das Vorliegen eines Verhaltens voraus, das auf die Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen gerichtet ist.    Es lassen sich also drei Elemente unterscheiden:

a) Die Willensäußerung

b) Der Rechtsbindungswille

c) Die bezeichnung bestimmter Rechtsfolgen

Ob die objektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen, ist durch Auslegung des Erklärungszeichens zu ermitteln.   Diese wird auf der nächsten Seite näher behandelt.

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Die Willensäußerung
Definition: Willensäußerung
„Unter einer Willensäußerung versteht man die Verlautbarung des Willens nach außen.“

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Der innerlich gebliebene Wille kann keine Rechtswirkungen auslösen.   Niemand kann Gedanken lesen 😉. Deshalb muss das, was gewollt ist, durch irgendein willensgesteuertes Verhalten nach außen erkennbar in Erscheinung treten. Dies kann ausdrücklich oder konkludent (= durch schlüssiges Verhalten) geschehen.

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Beispiel: Ausdrückliche Willensäußerung
A meint zu B: „Verkaufst du mir den Kugelschreiber für 10 €?“

A hat hier ihren Willen, einen Kaufvertrag über den Kugelschreiber zum Preis von 10 € schließen zu wollen, ausdrücklich geäußert.
Beispiel: Konkludente Willensäußerung
C zeigt in der Bäckerei auf die Brezel, die er kaufen möchte.
 
C hat hier seinen Willen, die Brezel zu kaufen, konkludent geäußert. Auch das genügt für die Annahme einer Willensäußerung.

Auch Emoticons stellen solche Willensäußerungen dar. 💡

Für Interessierte: Freyler: Die vertragsrechtliche Bedeutung von Emoticons, JA 2018, 732-736.

Ausnahmsweise kann sogar Nichtstun (sog. Schweigen) als eine Willensäußerung aufgefasst werden. Hierzu wird noch ein extra Beitrag folgen.

Bis dahin kann folgender Aufsatz Abhilfe schaffen: Fischinger, Grundfälle zur Bedeutung des Schweigens im Rechtsverkehr, JuS 2014, S. 294 ff.

Liegt keine Willensäußerung vor, so ist der objektive Tatbestand der Willenserklärung nicht gegeben, womit die Willenserklärung als ganze tatbestandlich nicht vorliegt. Rechtlich existiert dann also überhaupt keine Willenserklärung:

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Der Rechtsbindungswille
Definition: Rechtsbindungswille
Der Rechtsbindungswille bezeichnet den Willen, Rechtsfolgen herbeizuführen.

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Hier darf man sich nicht verwirren lassen! Auch wenn vom Rechtsbindungswillen die Rede ist, handelt es sich doch um ein objektives Tatbestandsmerkmal. D.h. man muss für die Frage, ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, auf das äußere Verhalten des Erklärenden blicken und nicht auf das, was dem Erklärenden im Kopf vorgeht. Erst bei der Behandlung des Erklärungsbewusstseins (i.R.d. subjektiven Erklärungstatbestands) ist dann auf das abzustellen, was dem Erklärenden im Kopf vorgeht.

In Klausuren spielt hier oft die Musik. In Anfängerklausuren werden besonders gerne die Konstellationen „invitatio ad offerendum“ und „Gefälligkeit“ abgeprüft. Da es sich hierbei um Auslegungsfragen handelt, wird das näher im Punkt 2 - Auslegung der Willenserklärung dargestellt.

Wird der Rechtsbindungswille verneint, so ist der objektive Tatbestand der Willenserklärung nicht gegeben, womit die Willenserklärung als ganze tatbestandlich nicht vorliegt. Rechtlich existiert dann also überhaupt keine Willenserklärung:

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Die Bezeichnung bestimmter Rechtsfolgen

Schließlich ist im objektiven Tatbestand erforderlich, dass das Verhalten nicht nur auf die Herbeiführung irgendwelcher, sondern ganz bestimmter Rechtsfolgen gerichtet ist.

Definition: Bezeichnung bestimmter Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen, auf die die Willensäußerung gerichtet sind, müssen hinreichend bestimmt oder jedenfalls eindeutig bestimmbar sein.

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Beispiele: Bezeichnung von Rechtsfolgen durch Willenserklärungen
Möchte man sich eine Pizza kaufen, so muss die Willenserklärung auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtet sein.

Möchte man kündigen, so muss die Willenserklärung auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sein.

Möchte man seine Kindern enterben, muss die Willenserklärung darauf gerichtet sein, die Kinder von der Erbfolge auszuschließen.

Möchte man einen Kaufvertrag widerrufen, muss die Willenserklärung auf die Rückabwicklung des Vertrags gerichtet sein.

Lässt sich der Willensäußerung keine bestimmte Rechtsfolge (auch nicht mittels Auslegung) entnehmen, etwa weil sie widersprüchlich (sog. Perplexität) oder mehrdeutig ist, dann liegt tatbestandlich keine Willenserklärung vor. Rechtlich existiert dann also überhaupt keine Willenserklärung:

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Der subjektive Erklärungstatbestand

Der subjektive Tatbestand (inneres) der Willenserklärung besteht ebenfalls aus drei Elementen:

a) Dem Handlungswillen

b) Dem Erklärungsbewusstsein

c) Dem Geschäftswillen

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Willenserklärung subjektiver Tatbestand genauer.png

Die verschiedenen Farben sollen kennzeichnen, welche Elemente vorliegen müssen, um tatbestandlich von einer Willenserklärung ausgehen zu können. Während der Handlungswille gegeben sein muss, um von einer Willenserklärung sprechen zu können, ist dies beim Erklärungsbewusstsein umstritten. Ob der Geschäftswille vorliegt oder nicht, ist dagegen irrelevant für die Existenz einer Willenserklärung. 

Der Handlungswille
Definition: Handlungswille
Handlungswille meint willentlich gesteuertes Verhalten.

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Fehlt der Handlungswille, so liegt tatbestandlich keine Willenserklärung vor.

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Beispiele: Fehlender Handlungswille

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  • Unkontrollierte Zuckungen
  • Vis absoluta
  • Reflexbewegungen
  • Handlungen im Schlaf
  • Handlungen während Hypnose
Das Erklärungsbewusstsein
Definition: Erklärungsbewusstsein
Das Erklärungsbewusstsein bezeichnet das Bewusstsein, sich rechtserheblich zu verhalten.

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Das Erklärungsbewusstsein ist das subjektive Pendant zum Rechtsbindungswillen. Hier wird gefragt, ob der Erklärende rechtserheblich handeln wollte, sich also bewusst ist, dass sein Verhalten auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet ist.

Ebenfalls besonders gerne wird in Klausuren abgeprüft, was denn die Rechtsfolge des fehlenden Erklärungsbewusstseins ist.

Beispiel: Trierer Weinversteigerung

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„Während einer Versteigerung hebt A, der am Ende des Raumes seinen Freund erblickt, die Hand. Dabei geht es ihm nur darum seinen Freund zu begrüßen, dass sein Verhalten rechtliche Konsequenzen haben könnte, ist ihm dabei nicht klar. Die Handbewegung wird vom Auktionator als Gebot gewertet, woraufhin A den Zuschlag für ein Fass Wein erhält.“

Zur Beantwortung der Frage, ob hier ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist, lassen sich zwei Extrempositionen und eine vermittelnde Positionen vertreten:

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Meinung 1: Willenstheorie

Das Erklärungsbewusstsein ist notwendiges Merkmal der Willenserklärung. Demnach führt das Fehlen des Erklärungs-bewusstseins dazu, dass keine Willenserklärung gegeben ist.

Ergebnis: Eine Willenserklärung liegt nicht vor, womit kein Vertrag zustande gekommen ist.

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Meinung 2: Erklärungstheorie

Das Erklärungsbewusstsein ist nicht notwendiges Merkmal der Willenserklärung. Demnach ist das Nichtvorliegen des Erklärungsbewusstseins für die Existenz der Willenserklärung stets unbeachtlich.

Ergebnis: Eine Willenserklärung liegt vor, womit ein Vertrag zustande gekommen ist.

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Meinung 3 (h.M): Vermittelnd

Das Erklärungsbewusstsein ist zwar grundsätzlich notwendiges Merkmal einer Willenserklärung, jedoch muss sich der Handelnde sein Verhalten als Willenserklärung trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins als Willenserklärung zurechnen lassen, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst wird („Erklärungsfahrlässigkeit“ oder auch „potentielles Erklärungsbewusstsein“ genannt).

Ergebnis: Ob ein Vertrag zustande gekommen ist, hängt davon ab, ob potentielles Erklärungsbewusstsein bejaht wird (dann Vertrag) oder nicht (dann kein Vertrag).

Der Geschäftswille
Definition: Geschäftswille
Der Geschäftswille bezeichnet den auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichteten Willen.

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Aus § 119 I BGB ergibt sich, dass das Nichtvorliegen des Geschäftswillens keine Auswirkung auf den Bestand der Willenserklärung hat.

 

Erklärt A also etwa, sie wolle den Kugelschreiber für „zehn Euro“ kaufen, obwohl sie „ein Euro“ sagen wollte, dann führt dies zu der Entstehung eines Anfechtungsrechts nach § 119 I BGB. Die Existenz und Wirksamkeit der Willenserklärung bleibt hiervon unberührt.

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Näheres wird bei der Anfechtung behandelt.

Das wars zum Tatbestand der Willenserklärung. Hier geht es weiter zur Auslegung der Willenserklärung.

Text und Grafiken von Nicholas Backhouse

Quellen:

1: Das Schema orientiert sich (insb. bzgl. der Wirksamkeit der Willenserklärung) an der Darstellung von Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, §§ 5 f.

2: Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 3; Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021 Rn. 2; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 13.

3: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021 Rn. 2; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 62; Musielak/Hau, Grundkurs BGB, 16. Aufl. 2019, § 2 Rn. 51 ff; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 14; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 6 Rn. 2.

4: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021, Rn. 2.

5: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2015, Rn. 3; Freyler, Die vertragsrechtliche Bedeutung von Emoticons, JA 2018, 733; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 6 Rn. 4.

6: Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 39. Aufl. 2015, § 6 Rn. 2.

7: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 6; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 39. Aufl. 2015, § 6 Rn. 4; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 3.

8: Heinrich, Examensrepetitorium Zivilrecht, 3. Aufl. 2020, S. 10; Freyler: Die vertragsrechtliche Bedeutung von Emoticons, JA 2018, 733.

9: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021, Rn. 2, 4.

10: Heinrich, Examensrepetitorium Zivilrecht, 3. Aufl. 2020, S. 10; Freyler: Die vertragsrechtliche Bedeutung von Emoticons, JA 2018, 733.

11: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021, Rn. 5; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 16.

12: Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021, Rn. 5; Heinrich, Examensrepetitorium Zivilrecht, 3. Aufl. 2020, S. 10; Freyler: Die vertragsrechtliche Bedeutung von Emoticons, JA 2018, 733.

13: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 1; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 46 ff.; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 6; Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 21 ff; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 6 Rn. 3.

14: Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 7; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 46; Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 23; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 4 Rn. 16; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 18.

15: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 16; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 7; a.A. Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 35.

16: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 16; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 46; Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 24; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 4 Rn. 16; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 7; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 18.

17: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 1; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 46 f.; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 8; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 19.

17a: zum Beispiel: MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 99; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 47.

18: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 17; MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 99 ff.; Grigoleit/Herresthal, BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2021, Rn. 8; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 17 Rn. 14 ff.; Leenen/Häublein, BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 33 f.

19: Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, Einf v § 106, Rn. 1; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 47; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 12; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 10 Rn. 20.

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