Orientierung
Die (Privat)Rechtsordnung
Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist das, worum es im Jurastudium fast ausschließlich geht. Sie zu verstehen und richtig anzuwenden wird die Hauptaufgabe deines Studiums sein.
Vorstellen kann man sich die Rechtsordnung, als würde man aus der Verfassung (dem Grundgesetz), aus jedem Gesetzbuch, aus jeder Verordnung, … jede einzelne Rechtsnorm herausschneiden und alle zusammen in eine Box werfen, auf die dann „Rechtsordnung“ geschrieben wird.

Definition: Rechtsordnung
Die Rechtsordnung (synonym: objektives Recht) bezeichnet die Summe aller in der BRD geltenden Rechtsnormen.
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In dieser Definition stecken eine Menge wichtiger aber auch abstrakter Begriffe, weswegen wir die Definition im Einzelnen auseinandernehmen:
Der Normbegriff
Definition: Rechtsordnung
Die Rechtsordnung (synonym: objektives Recht) bezeichnet die Summe aller geltenden Rechtsnormen.
„Norm“ ist letzlich ein schickes Wort für „Regel“. Regeln/Normen schreiben vor, wie etwas sein soll (was man tun und was man lassen darf bzw. muss) und sind streng von deskriptiven Sätzen (die beschreiben, wie etwas tatsächlich ist) zu unterscheiden.
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Beispiel: Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Sätzen
In Art. 1 S. 1 GG heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Nehmen wir an, ein Mensch wird nun so übel behandelt (etwa durch Folter), dass völlig außer Frage steht, dass seine Würde verletzt ist. Ist die Würde des Menschen dann also doch antastbar? Ist Art. 1 S. 1 GG dann „falsch“?
Art. 1 S. 1 GG ist eine Rechtsnorm, die (wie alle Rechtsnormen) nicht die Realität beschreibt, sondern sagt, wie man sich verhalten soll (sog. „normative Sätze“ oder Sollenssätze). Man muss Art. 1 S. 1 GG also im Kopf umformulieren in: „Die Würde des Menschen soll nicht angetastet werden“.
Wird ein Mensch nun gefoltert, wird also nicht ein Aussagesatz widerlegt, sondern von einem Sollenssatz abgewichen. Art. 1 S. 1 GG ist dann also nicht „falsch“, sondern wird dadurch „verletzt“.
Die Rechtsnorm
Definition: Rechtsordnung
Die Rechtsordnung (synonym: objektives Recht) bezeichnet die Summe aller geltenden Rechtsnormen.
Definition: Rechtsnorm
Im weiteren Sinne bezeichnet man als Rechtsnorm jeden Satz innerhalb eines autoritativen Normtextes, also eines Gesetzes, einer Verordnung usw.
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Einfach formuliert sind Rechtsnormen staatliche Regeln. Sie unterscheiden sich also von anderen Regeln einerseits hinsichtlich ihres Urhebers (Rechtsnormen kommen – fast ausschließlich – vom Staat) und andererseits hinsichtlich der Art und Weise, wie sie erlassen (= gemacht) werden. Dafür gibt es nämlich speziell geregelte Verfahren (bspw. das Gesetzgebungsverfahren in den Art. 70 ff. GG Grundgesetz).
Geltungsbegriff
Definition: Rechtsordnung
Die Rechtsordnung (synonym: objektives Recht) bezeichnet die Summe aller geltenden Rechtsnormen.
Definition: Geltend
Unter geltend werden hier vom Gesetzgeber erlassene und/oder von den Gerichten angewendete, also „gerichtsfähige Normen“ verstanden.
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Der Geltungsbegriff ist notwendig, weil nicht jede Rechtsnorm von den Gerichten angewendet wird. Das mesopotamische Recht interessiert einen Richter in Deutschland recht wenig. mesopotamisches Recht besteht also aus Rechtsnormen, aber aus nicht (mehr) geltenden Rechtsnormen.
Privatrecht & öffentliches Recht
Die gängigste Unterteilung der Rechtsordnung ist diejenige in Privatrecht und öffentliches Recht:


Im Weiteren wird es v.a. um die Visualisierung des Privatrechts gehen.
Definition: Privatrecht
Das Privatrecht (synonym: Zivilrecht) „regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander nach den Prinzipien der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung.“
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Text und Grafiken von Nicholas Backhouse
Quellen:
1: Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 407; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 53; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1; Leipold, BGB I, 11. Aufl. 2022, § 7 Rn. 32.
2: Wer sich näher mit dieser Frage von deskriptiven und normativen Sätzen beschäftigen will, wird hier fündig: Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 189 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 92 ff.
3: Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 189.
4: Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 53.; Vertiefend: Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 311 ff.
6: Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 20. Aufl. 2020, § 1 Rn. 2; vgl. auch Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 46. Aufl. 2022, § 1 Rn. 10; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2022, § 2 Rn. 2; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 46. Aufl. 2022, § 1 Rn. 1; Vertiefend zur Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht: Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 418 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2023; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl. 1997, S. 1 ff.